Jedes psychologische Gutachten beansprucht, objektiv zu sein. Doch Objektivität ist kein Automatismus – sie hängt davon ab, wie Daten erhoben werden, welche Methoden gewählt werden und wie Ergebnisse interpretiert werden.
In meinem Fall war das Ergebnis zu meinen Gunsten. Aber die angewandten Methoden – und die Art ihrer Umsetzung – hinterließen wesentliche blinde Flecken.
Interviews
Wie es sein sollte: Interviews mit Eltern und Kindern sollten ausgewogen, konsistent und in neutraler Sprache geführt werden.
Wie es tatsächlich war: Die Interviews wurden nicht gleichwertig gestaltet. Manche Fragen luden zu ausführlichen Erzählungen ein, andere beschränkten sich auf kurze Antworten. Die Stimmen der Kinder wurden zwar aufgenommen, jedoch nicht in der nötigen Tiefe untersucht, um ihre Perspektive wirklich abzubilden. Dadurch entstand ein fragmentiertes Bild, in dem manche Darstellungen größeres Gewicht bekamen als andere.
Beobachtung der Eltern-Kind-Interaktion
Wie es sein sollte: Beobachtungen sollen Einblick in die natürlichen Dynamiken zwischen Eltern und Kind geben.
Wie es tatsächlich war: Die Beobachtungen fanden in einem stark künstlichen Rahmen statt – zeitlich begrenzt, räumlich kontrolliert und ständig überwacht. Dieses Umfeld beeinflusst das Verhalten zwangsläufig. Was als „neutrale Beobachtung“ dargestellt wurde, war in Wahrheit eine gestellte Situation. Anstatt den Alltag abzubilden, zeigte es nur, wie sich Eltern und Kinder in einer Testsituation verhielten.
Psychologische Tests
Wie es sein sollte: Tests sollten standardisiert, zuverlässig und auf die Erziehungsfähigkeit bezogen sein. Sie müssen die Person erfassen, nicht nur die Leistung im Testszenario.
Wie es tatsächlich war: In der Praxis wurde der Test zum Selbstzweck – er zeigte mehr über den Test als über die Person. Ein Beispiel: Meine jüngste Tochter fühlte sich unwohl, als sie vor der Psychologin „performen“ sollte. Ihr Verhalten veränderte sich in dieser Situation – eine völlig natürliche Reaktion eines Kindes unter Druck. Dieser Kontext blieb jedoch unerkannt. Stattdessen wertete die Psychologin das veränderte Verhalten als Ausdruck ihrer Persönlichkeit.
Durch diese Vermischung von Testsituation und Realität bestand die Gefahr, die betroffenen Personen falsch darzustellen.
Warum Neutralität entscheidend ist
Neutralität in der Methodik ist kein Luxus – sie ist die Grundlage für Vertrauen in ein Gutachten.
In meinem Fall stützten die Schlussfolgerungen meine Position. Aber der Weg dorthin beruhte auf selektiven Methoden, künstlichen Rahmenbedingungen und unvollständiger Erfassung. Ohne methodische Ausgewogenheit bleibt selbst ein günstiges Ergebnis fragwürdig. Diente der Prozess wirklich dem Kindeswohl – oder nur dem Anschein von Gründlichkeit?
Im nächsten Teil der Serie: Institutionelles Gewicht und fehlende Kritik – warum niemand den Gutachter infrage stellt.