Wenn ein Familiengericht ein psychologisches Fachgutachten in Auftrag gibt, erteilt es einen klar definierten Auftrag.
Dieser legt fest, was der Sachverständige untersuchen soll, welche Fragen zu beantworten sind und in welchem Umfang die Untersuchung erfolgen soll.
Es handelt sich dabei nicht um eine offene Einladung, alles und jedes zu bewerten, sondern um eine gezielte, zweckgebundene Weisung.
In meinem eigenen Sorgerechtsverfahren fiel das Ergebnis des Gutachtens zu meinen Gunsten aus. Doch die Art und Weise, wie der Auftrag umgesetzt wurde – und welche Aspekte dabei unbeachtet blieben – weist auf ein Problem hin, das weit über meinen persönlichen Fall hinausgeht.
Der Auftrag des Gerichts
Das Familiengericht beauftragte den Sachverständigen:
- Die Erziehungsfähigkeit beider Eltern im Hinblick auf die Bedürfnisse der Kinder zu beurteilen.
- Die emotionale, soziale und entwicklungsbezogene Situation der Kinder zu evaluieren.
- Festzustellen, ob die aktuelle Lebenssituation dem Kindeswohl dient oder ob ein Wechsel erforderlich ist.
- Empfehlungen abzugeben, die Schaden und Belastungen für die Kinder so gering wie möglich halten.
Auf dem Papier war dieser Auftrag klar, nachvollziehbar und direkt mit der Kernfrage des Verfahrens verknüpft:
Unter welchen Bedingungen und bei wem können die Kinder am besten aufwachsen?
Was tatsächlich untersucht wurde
Das Gutachten behandelte viele relevante Punkte – ging jedoch auch auf Bereiche ein, die nicht unmittelbar zum Auftrag gehörten, und widmete anderen, zentralen Aspekten deutlich weniger Aufmerksamkeit.
Teilweise fanden sich sehr detaillierte Ausführungen zu Randthemen, wie umfangreiche historische Darstellungen oder Interpretationen vergangener Konflikte. Gleichzeitig wurden folgende Punkte nur am Rande berücksichtigt:
- Die konsistente und verlässliche Erfassung der geäußerten Wünsche der Kinder.
- Die praktische Umsetzbarkeit bestimmter Empfehlungen.
- Kulturelle und grenzüberschreitende Faktoren, die die Familiensituation beeinflussen.
Durch die Übergewichtung mancher Aspekte und die Vernachlässigung anderer wurde der ursprüngliche Auftrag des Gerichts nur teilweise erfüllt.
Warum das wichtig ist
Ein Gutachten, das sich vom Auftrag entfernt, läuft Gefahr, ein Ungleichgewicht zu schaffen – nicht unbedingt durch bewusste Voreingenommenheit, sondern durch Schwerpunktverschiebungen.
Werden zentrale Fragen nur unvollständig beantwortet, basiert die gerichtliche Entscheidung möglicherweise auf einem lückenhaften Bild, selbst wenn die abschließende Empfehlung plausibel wirkt.
In meinem Fall war das Gutachten zu meinen Gunsten. Mein Einwand richtet sich jedoch gegen den Prozess: Wesentliche Punkte, Fakten und Meilensteine wurden ausgelassen, sodass dem Gericht kein vollständiges Bild vorlag. Bestimmte institutionelle Sichtweisen wurden überbewertet, ohne dass sie kritisch hinterfragt wurden. Besonders bedenklich war, dass es von keiner der am Termin beteiligten Personen – insbesondere von den juristisch Beteiligten – ernsthafte Kritik oder Hinterfragung der Schlussfolgerungen gab.
Im nächsten Teil der Serie: Wie Methodik Entscheidungen prägt – Tests, Beobachtung und die Frage der Neutralität.