Ein persönlicher Erfahrungsbericht aus dem deutschen Familiengerichtssystem
Im Zentrum vieler familiengerichtlicher Verfahren in Deutschland steht das Gutachten. Was in der Theorie als objektive Einschätzung einer neutralen Fachperson gedacht ist, entwickelt sich in der Praxis jedoch oft zu einem Machtinstrument – mit dramatischen Folgen für Kinder, Eltern und das Vertrauen in den Rechtsstaat.
Ich spreche hier nicht über Theorie, sondern über gelebte Realität. Über ein Verfahren, das ich selbst erlebt habe. Und über eine Institution, die zur neutralen Wahrheitsfindung berufen war – und dabei wesentliche Fakten ignorierte.
Die stille Lücke, die niemand sah – oder sehen wollte
Das deutsche Familiengerichtssystem ist geprägt von einem aktiven Richterinnenmodell und stark begrenzten Eingriffsmöglichkeiten der Anwältinnen während der Verhandlung. In meinem Fall entstand dadurch eine juristische Lücke – eine strategische Verteidigungslinie der Gegenseite, die nur drei Personen im Saal hätten erkennen können: die Richterin und die beiden Anwältinnen. Niemand sonst – weder das Jugendamt noch die Psychologinnen – war in der Lage oder dafür vorgesehen, diese juristische Komplexität zu durchschauen.
Doch gerade diese Lücke wurde später als Rechtfertigung genutzt: Die Kinder seien zu verwirrt, die Situation zu instabil – also Heimunterbringung statt familiäre Lösung.
Ein Gutachten – 250 Seiten ohne die Wirklichkeit
Das beauftragte Gutachten war umfangreich. Die Gutachterin, eine erfahrene Familienpsychologin, wurde mit hochspezifischen Fragen betraut. Doch bereits bei unserer ersten Begegnung zeigte sich ein grundlegendes Missverständnis: Sie forderte von mir entlastende Belege zu strafrechtlichen Vorwürfen, die längst gerichtlich entkräftet waren – noch bevor sie überhaupt mit der eigentlichen Begutachtung begann.
Als Jurist wusste ich: Das war nicht meine Aufgabe. Es wäre ihre Pflicht gewesen, das Gericht auf mögliche offene strafrechtliche Fragen hinzuweisen, nicht mich zur Verteidigung aufzufordern.
Doch schlimmer noch war, was nicht erwähnt wurde. Etwa die mehrmals eskalierenden Treffen zwischen meiner Tochter und der Gutachterin. Meine Tochter weigerte sich zu kooperieren, warf Gegenstände, rannte barfuß auf die Straße – doch all das fand im Gutachten keinen Niederschlag. Nicht ein Wort.
Das Dreifachmandat: Wenn Neutralität zur Farce wird
Das beauftragte Institut hatte nicht nur das Gutachten erstellt. Es führte auch die begleiteten Umgangskontakte durch – und übernahm zusätzlich die Familienberatung. Dieselbe Psychologin, die mit meiner Tochter nicht klarkam, war gleichzeitig Beraterin, Gutachterin und Ansprechpartnerin für das Gericht.
Ich beantragte eine zusätzliche Stellungnahme dieser Zweitpsychologin. Doch wie zu erwarten war, stimmte sie dem Hauptgutachten zu – ohne ein Wort zu den problematischen Vorfällen zu verlieren.
Tonaufnahmen? Abgelehnt. Zweitmeinung? Abgelehnt. Zeugenaussage? Abgelehnt. Alles schien der Logik des Gutachtens untergeordnet.
Institutioneller Bias – oder nur Praxis?
Erst nach Vorlage des Gutachtens akzeptierte das Gericht meinen Antrag, die Familienberatung sowie die Umgangsbegleitung auf andere Träger zu übertragen. Eine stille Anerkennung institutioneller Probleme? Vielleicht. Aber es bleibt der bittere Nachgeschmack:
Wie neutral kann ein Gutachten sein, wenn alle beteiligten Stellen unter demselben Dach sitzen – und Kritik aneinander institutionelle Konsequenzen hätte?
Persönliche Angriffe statt sachlicher Analyse
Besonders verletzend war für mich die Art, wie mein Lebenslauf im Gutachten dargestellt wurde. Mein internationales juristisches Engagement – Reisen, Studien, Arbeit in verschiedenen Ländern – wurde als Persönlichkeitsstörung interpretiert.
Noch absurder: Der Vorwurf, dass in unserem Haus keine Geburtstagsfeier stattgefunden habe. Ohne zu erwähnen, dass der Geburtstag mitten in den Corona-Lockdowns lag und wir bewusst im Hort gefeiert hatten – wie es rechtlich zulässig war.
Das größere Problem: Kritik ist unerwünscht
Niemand – weder meine Anwältin, noch das Jugendamt – stellte die Auswahl des Instituts infrage. Warum auch? In Deutschland genießen bestimmte Institutionen eine fast sakrale Unangreifbarkeit. Kritik ist kulturell unerwünscht. Wer dennoch spricht, trifft auf Schweigen – oder Ablehnung.
Fazit: Zwischen Systemversagen und Menschenverachtung
Dieses Verfahren hat mich gelehrt: Fachliche Expertise kann missbraucht werden. Nicht aus bösem Willen – sondern aus systemischer Blindheit, aus institutioneller Bequemlichkeit, aus einem Verständnis von Neutralität, das Kritik als Angriff deutet.
Und so bleibt am Ende eine Frage offen, die jeder Familienrichter, jede Psychologin, jedes Jugendamt beantworten sollte:
Wer schützt das Kind – wenn die Institution, die es schützen soll, selbst zur Gefahr wird?
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Die deutsche Ausgabe ist bereits in Vorbereitung und erscheint in Kürze.